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Fair Play Teil 3: Frau R. versucht ein paar Probleme zu vernetzen

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Servus ihr Lieben!
✿ܓܓ✿ܓ✿ܓ✿ ♥♥♥♥ ܓܓ✿ܓ✿ܓ


Wahnsinn, seit August habe ich an meiner begonnenen „Fair-Play-Serie“ nicht mehr weiter 
geschrieben! In September und während Teilen des Oktobers habe ich mich dafür etwas zu 
schlapp gefühlt – denn hier bedarf es doch einiger Recherche und eines gewissen Mehreinsatzes 
von Gehirnschmalz - aber beruhigender Weise hat sich auch das Erscheinen des Katalogs der 
Nähbloggerinnen (der von Susanne vom Blog mamimade initiiert wurde und dessen Grundidee 
meine Fair-Play-Posts ausgelöst hat), wegen der großen Beteiligung verzögert. 

Dann ging’s allerdings hier wie dort wieder voran -und der Nähbloggerinnen-Katalog ist mittler-
weile fertig! Ich habe den Link dazu unten in meinem zweiten Post Scriptum eingebaut, damit ihr 
euch alle das tolle Ergebnis von "This is not okay"anschauen könnt! 


Arbeitswelt in Indien: Blumengirlandenverkäufer, "Großtransport", handgemachte Fliesen, Gemüsehändler
Tempelreinigung, Besenerzeugung, mobiler Verkauf von Kunststoffgefäßen, Obsthändlerin
Diese Familie lebt vom Rösten und Verkaufen von Cashew-Nüssen


In Teil 1meiner „Fair-Play-Serie“ zeigte ich euch – inspiriert von Susannes Aktion - ein paar 
Kombinationen von Fair-Trade-Klamotten aus meinem Kleiderschrank. In Teil 2 bemühte ich 
mich, im Sinne des deutschen Umweltexperten Frederic Vester vernetzt zu denken - und kam 
zu dem Schluss, dass der Versuch, nuran einem Rädchen zu drehen, fatal enden kann. Vor allem, 
wenn wir die Lebensumstände eines Volkes zu wenig kennen.

Ihr habt mir dazu viele wunderbare, nachdenkliche und ausführliche Kommentare hinterlassen -
 vielen Dank für jeden einzelnen davon! Sie zeigen mir einmal mehr, dass "die Bloggerwelt" längst 
nicht so oberflächlich ist, wie böse Zungen behaupten. In manchen eurer Kommentare stand auch zu 
lesen, dass die Problematik schlechter Arbeitsbedingungen nicht nur die Modeindustrie betrifft. Ja, 
ich weiß, und sie betrifft auch nicht nur Asien - wir brauchen nicht mal annähernd so weit zu gehen… 
(Mehr dazu im ersten P.S.) Dennoch scheinen in Asien aus verschiedenen Gründen die Grenzen 
des in unseren Augen "gerade noch Zumutbaren" besonders weit überschritten zu werden. Allerdings
bin ich mir nicht sicher, ob es eine gute Idee ist, Asien nach unseren Maßstäben zu beurteilen...
(Oder genauer gesagt: Ich bin mir sicher, dass es keine gut Idee ist!)


Unbequeme Fahrt zum Arbeitsplatz, Herstellung von hölzernen Schaufelgriffen, Garküche, Drogerie
Zermahlen von Färbe- oder Räucherstoffen, noch ein "Großtransport", Musikant, fahrender Bananenhändler
Taschenhandel, Verkauf von Zuckerrohrsirup, der junge Steinmetz fertigt kleine heilige Stiere nach dem großen Vorbild links an


Ich habe in Teil 2 jedenfalls auch angekündigt, dass ich in meinem nächsten Posting zum Thema ein 
bisschen über die Arbeitswelt in Indien erzählen würde – unter anderem auch, um euch die dortigen 
Lebensumstände ein bisserl vertrauter zu machen. Indien ist ein Beispiel-Land von vielen - aber nicht 
nur. In den letzten zehn Jahren ist Indien immerhin in den Kreis der zehn größten Volkswirtschaften 
der Welt vorgestoßen. In einigen Branchen (Informationstechnologie, Pharmazie) hat die indische 
Wirtschaft inzwischen internationales Spitzenniveau erreicht. Als Land, das beispielsweise auf vielen
  in Europa angebotenen Stoffen und Kleidungsstücken als Erzeugerland genannt wird, hat es natürlich 
auch mit den meisten von uns hier zu tun. Und als Land mit dem größten Bevölkerungswachstum der 
Welt und mit diversen sozialen Problemen und Umweltbelastungen sollte es von uns sowieso 
keineswegs mit einem Achselzucken abgetan werden. 

Nach unseren beiden Indien-Reisen und einigem, das ich mir über den Subkontinent angelesen habe, 
kann ich natürlich nicht behaupten, eine wirklich "fundierte Kennerin" des Landes und der dortigen 
Menschen zu sein, doch wir haben viel von unseren jeweiligen Reiseleitern erfahren, viele Fragen 
gestellt und auch jede sich bietende Möglichkeit für Gespräche mit Einheimischen genützt.



"Unser" Tuk-Tuk-Fahrer Vel, der uns in sein Haus einlud und seine Familie vorstellte (mehr darüber HIER)
Links oben: Marmor-Transport in Rajasthan, links unten: Schüler einer Malerschule beim Renovieren eines Palasts, rechts
 Mitte: Warten am Bahnhof von Chennai, rechts oben und unten: Mit unseren indischen Sitznachbarn im Zug von Chennai 
nach Westen unterhielten wir uns während der gesamten Fahrt. Wir fuhren ca. 7 Stunden lang bis nach Mysore, sie stiegen
 eine Station vorher in Bangalore aus, wo sie arbeiten.

Die meisten Menschen in Indien, die wir kennengelernt haben, wirkten stolz auf ihre Arbeit (oder 
froh darüber, Arbeit zu haben) - egal ob sie Postkarten verkaufen oder in Bangalore am Computer 
sitzen (und dazu wöchentlich ihre Familie verlassen und stundenlang mit dem Zug hinfahren müssen), 
egal ob sie Tuktukfahrer sind, Händler von Obst und Gemüse, Schuhen oder Touristenkitsch, Bügler 
in einem Straßenladen mit Kohlebügeleisen, Kofferschlepper im Hotel oder am Bahnhof, Kellner, 
Elefantendung-Trägerinnen oder Tankdeckelschließer bei einer Tankstelle …

- Letzteres ist kein Scherz: Es gibt so viele Menschen in Indien, dass die aberwitzigsten Jobs entstehen, 
um diesen Menschen wenigstens ein Mindestmaß an selbstverdientem Einkommen zu ermöglichen.
 Wenn ihr dort tankt (vor allem im großstädtischen Bereich), wird der eine Tankstellenarbeiter euren 
Tankdeckel öffnen, ein anderer den Füllstutzen in den Tank einführen, ein dritter den Zählerstand 
ablesen und kassieren, ein vierter eure Autofenster putzen, und der erste schließt den Tankdeckel 
wieder. Das (und nur das) ist sein Job - dafür wird er bezahlt und damit kann er seine Familie mehr 
oder weniger gut ernähren.


Wieviele passen in einen Jeep?, Wasserträgerin, Bananenverkäufer, Bügelstation
Alter Mann an einer Tankstelle und verschiedenste Bau- und Bodenarbeiten. Das meiste wird hier noch mit Muskelkraft erledigt.
Arbeit bei der Zuckerrohrplantage - auch hier sind nur wenige Maschinen im Einsatz.



Ich persönlich finde diese Methode nicht wirklich schlechter, als die Autofahrer alles selbst machen 
zu lassen, Kassa-Automaten aufzustellen … und andererseits Arbeitslose zu finanzieren. In Indien 
ist Personal leicht zu finden - Arbeit ist nicht im selben Ausmaß vorhanden, doch es wird keine 
Unterstützung für Arbeitslose bezahlt. Eher kreiert man Jobs wie den des Tankdeckelschließers. Wer 
keine Arbeit und keinen Versorger hat, muss betteln, wer nicht genug erbettelt, kann sich selbst nicht 
ernähren und erst recht keine Familie. In diesem alten Spiegel-Artikel könnt ihr euch durchlesen, wie 
schlimm die Lage in den 1970ern in Indien war. Wobei die Ärmsten der Armen noch immer froh 
über irgendeine Arbeit sind: Flüchtlinge aus Bangladesh oder auch indische Mädchen aus niedrigen 
Kasten und armen Regionen machen sich zum Putz-Sklaven bei Mittelstands-InderInnen, und wenn 
sie Pech haben, werden sie dort geschlagen und bekommen keinen Lohn, weil sie angeblich ihre 
Arbeit nicht gut erledigt haben - oder erleben anderes Schlimmes...



Motorisierter Händler, Fliesenerzeuger, drei Unkraut-Jäterinnen bei einem Palast, Hotelwächter in Uniform
Frauen mit Reisigbesen und Tongefäß, Musiker, Transport per Auto oder Eselskarren

Im Uhrzeigersinn: Elefantendung-Trägerinnen, Mönch, Reifenhandel, Bananenträger, Zwiebel- und Knoblauch-
Direktverkauf vom LKW, auch so "hausen" Menschen

Deshalb können in Ländern wie Indien und Bangladesh auch jene menschenverachtenden Fabriken 
existieren, um die es bei mamimade’s aktion This is not okay geht: Es gibt Menschen, die sogar froh 
über solcheJobs sind. Wie ihr euch nach meinen zwei vorangegangenen Postings hoffentlich denken 
könnt, möchte ich mit dieser Aussage den Ausbeuterfirmen keineswegs eine Legitimation erteilen. 
Ich möchte nur zu erklären versuchen, weshalb es für manche Menschen schlimmer wäre, nirgendwo 
zu arbeiten als in solchen Fabriken. Und dass ich daher der Meinung bin, dass nicht die Schließung 
solcher Fabriken die Lösung ist, sondern dass diese Sache anders, weiträumiger, vernetzter 
angegangen werden muss.

Bedenkt: Wir haben hier ein Land mit einer Milliarde Menschen, Tendenz täglich steigend. Der 
Anteil der Menschen in Indien unterhalb der Armutsgrenze liegt bei rund 30 %. Quelle: KLICK



Armut
Slums in der Nähe von Großstädten
Träger und Bewacher von Reisetaschen, kleine Mädchen beim Milchtransport, gehbehinderte Hut-Verkäuferin, Kinder im Slum

Ich glaube, ihr seht schon, dass es nicht unbedingt die beste Lösung für diese Ärmsten der Armen 
sein kann, wenn wir etwas übers Knie brechen und einfach nur dafür sorgen, dass keine Ausbeuter-
Fabriken mehr existieren. Und wenn ihr euch an die Sahelzonen-Geschichte und Frederic Vesters 
"vernetztes Denken" erinnert, werdet ihr vielleicht ahnen, dass es auch keine gute Lösung sein kann, 
diese Menschen einfach nur finanziell zu unterstützen ... Das würde zwar ein allfällig vorhandenes  
schlechtes Gewissen beruhigen, aber der Welt einen noch größeren Schaden zufügen, als wenn man 
gar nichts macht.

Wobei "nichts machen" auch nicht die Lösung ist. Das Thema ist jedoch so komplex und schwierig,
dass Politiker, Wissenschafter und sonstige schlaue Köpfe dieser Welt daran scheitern. Bei den in 
meinem vorigen Post zum Thema erwähnten Schülerwettbewerben von ecopolicy wurden übrigens 
auch Deutsche Politiker zum Wettstreit gegen die Schüler eingeladen - und unterlagen deutlich. Ihr 
könnt hier darüber mehr lesen - unter dem Kapitel "Geschichte". Ich finde es ziemlich interessant, 
dass die Kids eher als die Politiker wussten, wo bei einem Staat der Hebel anzusetzen ist, um die 
Dinge rund laufen zu lassen ...

(Das gibt Hoffnung! Ich wünsche mir, dass diese Kids in 10, 15 oder 20 Jahren auch noch wissen, was zu tun ist - und in
der Welt einiges umwälzen. Noch besser wäre es allerdings, wenn diese Umwälzungen bereits jetzt stattfinden würden.
Und am besten wäre es natürlich gewesen, sie hätten bereits vor ein paar Jahrzehnten stattgefunden, als die ersten
klugen Köpfe zu warnen begannen... Aber die Menschheit neigt leider dazu, immer erst am Rande des Abgrunds zu
reagieren...)



Blumenhändlerin, Zauberer, Bettler, Wasserverkäuferin, Musikantenfamilie, Kokosnusshändler
Wächter bei verschiedenen Palästen, Klöstern und Hotels


 Daher zum heutigen Abschluss noch ein kleines Gedankenexperiment. Stellt euch vor, ihr seid 
Präsident eines Industriestaates und wollt euer Volk zu "paradiesischen Zuständen" führen. Bei 
Ökolopoly oder ecopolicy können die Spieler ein paar Faktoren direkt beeinflussen (Sanierung, 
Produktion, Aufklärung/Bildung, Lebensqualität) - und ein paar nicht (Politik bzw. Politik-
zufriedenheit, Umwelt, Bevölkerungswachstum ...). Die nicht direkt beeinflussbaren Faktoren
werden von den anderen mit beeinflusst. Wenn also z.B. die Produktion angehoben wird, steigert 
sich zunächst die Lebensqualität, weil alle gut verdienen, dann sinkt sie wieder, weil die Umwelt 
durch die Produktion belastet wird, es sei denn, ihr investiert in Aufklärung und Sanierung .... An 
welchen Schrauben - und wie intensiv - also würdet ihr als Präsident eines Industriestaates drehen? 

Politik / Politikzufriedenheit
Sanierung direkt beeinflussbar
Produktion direkt beeinflussbar
Umwelt
Aufklärung / Bildung direkt beeinflussbar
Lebensqualität direkt beeinflussbar
Bevölkerungswachstum
Bevölkerung


Singender Museumsangestellter, Kamelkutsche, Malerschule, Sesamöl-Mühle, Aussteller einer ganz besonders heiligen 
Kuh mit einem 5. Bein (wächst aus dem Nacken!), Kamelzüchter
Planwagen-Behausungen, Garküchen-Händler, Putzen von Palastmauern, Holzzierleisten-Erzeugung


Ich freue mich und bin schon gespannt auf eure Lösungsansätze (sofern ihr euch die Zeit dafür
nehmen könnt bzw. mögt)! HIER gibt es ein paar Informationen über die Zusammenhänge 
innerhalb des Spiels (die die Zusammenhänge innerhalb der Welt widerspiegeln).


Fotos: Herr und Frau Rostrose sowie unsere Freundin Monika Sch.
 ✿ܓܓ✿ܓ✿ܓ✿ ♥♥♥♥ ܓܓ✿ܓ✿ܓ
Alles Liebe und herzliche rostrosige Grüße 
von der Traude
✿ܓܓ✿ܓ✿ܓ✿ ♥♥♥♥ ܓܓ✿ܓ✿ܓ


P.S. zum Thema "nicht nur in Asien" und "nicht nur die Mode-Industrie":  

Wir Rostrosen wohnen relativ nah an der Ungarischen Grenze. Eine Bekannte, die in Ungarn lebt, hat mir von einer
 Glasfabrik in ihrer Ortschaft erzählt. Dort werden z.B. Spiegel für Autos produziert. Ausgerechnet während der 35- bis 
40 Grad heißen Tage des heurigen Sommers wurden in dieser Firma (sowie in einer anderen Fabrik, wo Kunststoffteile 
für Fahrzeuge hergestellt werden) Sonderschichten gefahren und Urlaubssperren verhängt. Die ArbeiterInnen bekamen 
dort reihenweise Kreislaufzusammenbrüche und andere gesundheitliche Probleme, denn diese billig hochgezogenen 
Fabriksgebäude besitzen weder Fenster noch brauchbare Lüftungen – von Klimaanlagen ganz zu schweigen! Und ich 
kann mir nicht vorstellen, dass gerade jetzt so viele Autos gebaut und benötigt werden, dass dieser Einsatz sich auch nur
 annähernd rechtfertigen lässt... Die Wirtschaftslage europaweit sieht nicht so rosig aus, dass plötzlich der Autokaufrausch 
ausbrechen könnte. Der Automarkt für welches Land wird hier wohl bedient? So viel also dazu: Wir wissen zum Teil gar 
nicht, was alles von uns gekauft wird, das unter unmenschlichen Bedingungen hergestellt wird. Nicht nur Kleider und 
Schuhe, auch unsere Autos (oder Teile davon). Das Handy? Der Computer (oder Teile davon)? Und wir wissen oft nicht, 
welche Märkte durch diese oder jene Produktion bedient werden...


P.S. zum Katalog der Nähbloggerinnen:

HIER kommt ihr zum Katalog der Nähbloggerinnen! (Falls der Link nicht funktionieren sollte, dann klickt euch bitte zu 
mamimades Blog und schaut euch den Katalog da an!) Es ist wirklich unglaublich, dass ich - als "Nähniete" (die aber jetzt
immerhin einen Näh-Anfängerkurs besucht hat!) - in solch einem Katalog gelandet bin. Doch es ging ja nicht nur darum, 
Selbstgenähtes zu zeigen, sondern auch Alternativen dazu. In meinem Fall bedeutet das: Ich trage auf dem Foto einen Rock, 
ein Langarmtop und einen Bolero von einer Firma, die Fair-Trade-Produkte vertreibt - und ein Chasuble (= eine lange 
ärmellose Weste) aus Seide, die von Marianne-Oma nach meinen Wünschen genäht und von mir handbemalt wurde. Die
Kette, die ich auf dem Foto trage, wurde von einer Freundin angefertigt. Das Foto von mir befindet sich auf Seite 87, der 
Katalog besteht aber noch aus viiiiiel mehr Seiten mit tollen Kreationen - durchklicken lohnt sich auf jeden Fall - das ist 
Inspiration pur! Und die wichtigsten Botschaften im Katalog lauten wohl:"Vermeide Fast Fashion", also Mode, die 
binnen kürzester Zeit auf dem Müll landet, weil sie keine Qualität besitzt, und "Kauft nur, was ihr tatsächlich braucht"
Passend dazu wird es im Jahr 2016 übrigens eine neue Rostrosen-Aktion geben!
 

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